19. September 2016

We can edit! – Wikipedia für Frauen* in Kunst und Kultur

Welcome to Futuristan hieß die Ausstellung anlässlich des 30Jährigen Jubiläums der galerie futura in Berlin, einem Ort für feministische Perspektiven in der Kunst und kritisches Kulturschaffen. Von Juni bis August nutzte ich das Erlebbare Archiv der Kulturwerkstatt und Galerie für Wikipedia-Workshops mit und für Frauen* aus Kunst und Kultur. Die Künstlerin Sandra Becker hat mich dabei unterstützt. Sie engagiert sich unter anderem bei Women edit, WikiWomen unterwegs und Wikipedia. FilmFrauen – Initiativen innerhalb der Wikipedia-Community und des Wikimedia e.V.





Wikipedia und ich.


Bis 2012 gehörte ich zu den Kritikerinnen der Wikipedia. Zu jenen, die sich über unvollkommene und fehlende Beiträge beschwerten, aber niemals selbst aktiv geworden wären. Als freie Film- und Kulturschaffende war ich ausschließlich damit beschäftigt eigene Projektgelder, neue Aufträge und Kontakte zu organisieren. Unterwegs von Berlin nach Stuttgart, Buenos Aires, Oslo oder Toronto fehlte mir die Zeit, in erster Linie jedoch der Glaube an die Bedeutsamkeit der Enzyklopädie. Kooperation spielte zwar eine wichtige Rolle in meiner Arbeit, das gesellschaftliche Umfeld, die Sichtbarkeit und Wahrnehmung kunst- und kulturschaffender Frauen allerdings hatte nicht Priorität.

Die Geburt meines Kindes stellte eine Zäsur dar. Mein bewegtes, ungebundenes, schnelles Leben wandelte sich in ein lokales, familiäres, langsames. Freischaffendes Arbeiten auf internationalem Niveau konnte ich nicht mehr – kräftemäßig, finanziell. Eine Lebensphase, die mich mit meinen Grenzen konfrontierte aber vor allem mit den strukturellen Ungleichgewichtigen in der Kulturszene und unserer Gesellschaft: „Kümmere dich doch erst einmal um dein Kind.“ „Als Mutter mit Kleinkind auch freiberuflich in der Kulturbranche tätig sein, dass geht nur, wenn du einen wohlhabenden Partner und sehr viel Glück hast.“ „In Berlin als filmschaffende Mutter überleben – da mach dir doch nichts vor.“
Also machte ich mich auf die Suche – nach neuen Netzwerken und Formen des Austauschs, nach Möglichkeiten der Kooperation und der Selbstermächtigung gemeinsam mit Menschen in ähnlicher Situation und Verfassung. Da meine neuen Lebensumstände mir zunächst nur kurze Arbeits- und Konzentrationsphasen ermöglichten, wurde die textbasierte Arbeit wieder wichtiger als die mit dem bewegten Bild. Ich beschäftigte mich mit meinem Archiv, angesammeltem Wissen und der allgemeinen Situation von kunst- und kulturschaffenden Frauen in Deutschland. Als Leserin nutzte ich die Wikipedia mehr als jemals zuvor – besonders in den Stillpausen. Nur etwa 8% aller Beiträge werden in der deutschsprachigen Wikipedia von Frauen verfasst. Der Frauenanteil in den USA wird immerhin auf 14% geschätzt, so eine Untersuchung der Wikimedia Foundation von 2012. Saskia Jasmin Ehlers ist den Imbalences in einem Vortrag auf der Wikimania 2016 umfassend auf den Grund gegangen.

Gesellschaftliche Ungleichgewichte spiegeln sich auch in der Wikipedia-Community wider.  

Frauen editieren weniger. Das hat Zeitgründe – weil sie schlicht neben der Berufstätigkeit immer noch weit mehr mit Familien- und Sorgearbeit befasst sind. Oft schreckt sie das Einarbeiten in die Logik der Plattform und die Benutzeroberfläche ab. Und tatsächlich werden die ersten Edits von sich als weiblich ausgebenden Wikipedians häufiger gelöscht. Auch Umgangston und die Auseinandersetzung in der Community, misogyne Tendenzen sowie fehlende soziale, persönliche Interaktion lassen Frauen nur zögerlich zu Wikipedians werden. In der Wikipedia-Community spiegeln sich gesellschaftliche Ungleichgewichte wider. Das hat natürlich auch inhaltliche Effekte für die Enzyklopädie.

Auf der Suche nach Austausch und kooperativen Formen des Arbeitens und kultureller Wissensproduktion las ich von einem Art+Feminism Edit-a-thon in der AGO Art Gallery of Ontario und schließlich verschlug es mich auf ein Treffen von Women edit – einem regelmäßigen, offenen Netzwerkabend von Wikipedia-Autor:innen für Anfänger:innen, Autor:innen und Interessierte. Anders als in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen hatte die Wikimedia Foundation die Herausforderung angenommen und unterstützt die in der Community wirkenden Frauen*.  So motiviert die internationale Initiative Art+Feminism kleine und große internationale Galerien dazu Autor:innen und interessierte Frauen* einzuladen, um in die Wikipedia zu schreiben. Anfänger:innen lernen von erfahrenen Wikipedianer:innen. Erfahrene Autor:innen tauschen sich aus und arbeiten gemeinsam an Beiträgen über Frauen* aus Kunst, Architektur und Design. Initiativen wie Women edit, WikiWomen unterwegs und Wikipedia. FilmFrauen knüpfen in Deutschland an die Erfahrungen an und schaffen weitere Angebote für Frauen* und Interessierte. 


Wikipedia – Do it yourself but do it together.

 

Women edit brach für mich das Eis. Ich traf motivierende Persönlichkeiten, konnte sofort anfangen. Nach einer Veranstaltung für Frauen in Film, Funk und Fernsehen zur Berlinale 2016 stand ich dann in Flammen. Ganz schnell habe ich ein eigenes kleines Netzwerk geschaffen, um gemeinsam zu lernen und mich mit anderen kritisch in die Debatte um Frauen und Diversität in der Community einzumischen. Ich fand mit der galerie futura die ideale Partnerin für den ersten selbstorganisierten Edit-a-thon. Ziel war es Künstler:innen, Autor:innen und Lai:innen aus dem Umfeld der Galerie an die Arbeit für die Wikipedia heranzuführen, um so einen eigenen Beitrag zu leisten den Anteil von Autor:innen in der Community sowie die Sichtbarkeit relevanter Künstler:innen, Institutionen, Theoretiker:innen und feministischer Perspektiven in der Kunst zu stärken. Unser Arbeitsort wurde das 30-jährige Archiv der alpha nova & galerie futura, dass vom 18. Mai bis zum 27. August 2016 als offener Arbeits- und Veranstaltungsort von jedermensch benutzbar und begehbar war. Das Erlebbare Archiv, die Jubiläumsausstellung Welcome to Futuristan und das Umfeld der Galerie sollen inspirieren für Wikipedia relevante Arbeiten, Orte, Biografien feministischer Künstler:innen, Autor:innen, Kurator:innen oder Theoretiker:innen zu identifizieren, Materialien für Wikipedia-Artikel zu sammeln, Artikel zu verfassen und zu überarbeiten.


Allen Skeptiker:innen und Anfänger:innen würde ich heute sagen: Seid anspruchsvoll, aber fangt an. Engagiert euch für die Sichtbarkeit relevanter Themen und Inhalte in all ihrer Vielfalt. Probiert es aus. Legt euch einen Account zu. Benutzt nicht euren Klarnamen, aber einen Namen, der für euch steht. Ihr müsst euch nicht als weiblich oder männlich identifizieren, wenn ihr das nicht wollt.
Ihr könnt allein beginnen – es erleichtert aber Vieles, den Start gemeinsam in einer Gruppe zu machen. Auf den Netzwerk-Seiten finden sich zahlreiche Termine und Gruppen. Es gibt unzählige Stammtische und Community-Treffen.
Oft ist es einfacher sich die wesentlichen Arbeitsschritte und Tools erklären zu lassen, Grundlagen des Umgangs und der Kommunikation zu erfahren und die ersten Arbeitsschritte an einem geplanten Beitrag miteinander zu besprechen.
Auf der Seite unserer Wikipedia-Veranstaltung ist ein gutes Starter-Kit zusammengestellt. Seid offen, fröhlich und lasst euch auf die Bedingungen des kollaborativen Schreibens ein. Im besten Fall verbucht ihr eure erste Löschdiskussion als interessante Erfahrung und geht gestärkt aus ihr hervor.
Nehmt eure Ängste und Unzufriedenheiten wahr. Doch fresst sie nicht in euch hinein, sondern vernetzt euch aktiv mit Gleichgesinnten und versucht Probleme konstruktiv und an den geeigneten Stellen zu artikulieren. Aufgrund der Tatsache, dass die Wikipedia offen für alle ist, sind Konflikte oder Fälle von Missbrauch nicht ausgeschlossen. Allerdings sorgen gute Netzwerke, klare Absprachen und Übereinkünfte wie auch eine gute gemeinsame Motivation dafür, dass man diese bewältigen und minimieren kann. Gemeinsam lässt sich einiges bewegen. Wenn ihr Fragen habt, dann schreibt mir gern.


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