Im Rahmen von united nations revisited "Künstlerische Interventionen im politischen Raum" habe ich einen Vortrag über die Grenzen der
Repräsentation in den Dokumentarfilmen Kinshasa Symphony und Congo in Four Acts gehalten. Hier findet sich ein ausführlicher Beitrag dazu.
© Congo in Four Acts, Dieudo Hamadi, Divita Wa Lusala und Kiripi Katembo Siku // Suka Productions 2010 |
„Das dokumentarische Bild
repräsentiert vielleicht.
Es vergegenwärtigt jedoch auf jeden Fall seinen eigenen Kontext: Es bringt ihn zum Ausdruck.“, schreibt die Künstlerin und Theoretikerin Hito Steyerl in Die Farbe der Wahrheit (1). Damit formuliert sie das zentrale Thema dokumentarisch-filmischen Schaffens und seiner politischen Dimension überhaupt. Vergegenwärtigen wir kurz: Repräsentation bedeutet zum einen in der künstlerischen und philosophischen Praxis die „Darstellung“ oder „Vorstellung“ von etwas. In der Politik wird Repräsentation als „Sprechen für“, im „Namen von“ oder „in Vertretung von“ verstanden.
Es vergegenwärtigt jedoch auf jeden Fall seinen eigenen Kontext: Es bringt ihn zum Ausdruck.“, schreibt die Künstlerin und Theoretikerin Hito Steyerl in Die Farbe der Wahrheit (1). Damit formuliert sie das zentrale Thema dokumentarisch-filmischen Schaffens und seiner politischen Dimension überhaupt. Vergegenwärtigen wir kurz: Repräsentation bedeutet zum einen in der künstlerischen und philosophischen Praxis die „Darstellung“ oder „Vorstellung“ von etwas. In der Politik wird Repräsentation als „Sprechen für“, im „Namen von“ oder „in Vertretung von“ verstanden.
Gerade in der dokumentarfilmischen Praxis aus und über Afrika fallen Aspekte einer
politischen und künstlerischen Repräsentation zusammen. Diese strukturellen, formalen und inhaltlichen Verfahren
der politischen wie künstlerischen Repräsentation konfrontieren uns
jedoch nicht mit den Dingen der dargestellten Welt, sondern mit bestimmten
Begriffen, Überlegungen und Modellen dazu. Sie entwerfen die Welt als
Bild ihrer Wahrheiten. Weil Bilder wie Wahrheiten nach bestimmten
Konventionen der politischen wie kulturellen Macht erzeugt werden,
müssen diese stets aufs Neue in Bezug auf ihre Rechtmäßigkeit
hinterfragt werden. Filme wie Kinshasa Symphony und Congo in Four Acts bieten den passenden Anlass.
Kinshasa Symphony von Claus Wischmann
und Martin Baer wurde unter Schirmherrschaft der deutschen UNESCO
Kommission e.V. mit großem finanziellen Aufwand als
Kinofilm in Co-Produktion des RBB und WDR im Rahmen der ARD
realisiert. Der Film zeigt die Arbeit des einzigen
Symphonieorchesters in Zentralafrika, des Orchesters Kimbanguiste.
Im Zentrum des Filmes stehen die Proben für Beethovens 9. Symphonie für das erste große öffentliche Konzert des Orchesters anlässlich des Unabhängigkeitstages. Der Film zeigt die Musiker*innen während der Konzertproben und begleitet neun Personen durch ihr Alltagsleben. Darüber hinaus inszeniert er diese Musiker*innen mit ihren Instrumenten in öffentlichen Räumen der Stadt Kinshasa. Kinshasa Symphony wurde auf Festivals, im Kino und im deutschen Fernsehen gezeigt, gewann diverse Preise und wurde in der Presse vielfach gelobt. Der Dokumentarfilm ist als DVD im Handel erhältlich.
Im Zentrum des Filmes stehen die Proben für Beethovens 9. Symphonie für das erste große öffentliche Konzert des Orchesters anlässlich des Unabhängigkeitstages. Der Film zeigt die Musiker*innen während der Konzertproben und begleitet neun Personen durch ihr Alltagsleben. Darüber hinaus inszeniert er diese Musiker*innen mit ihren Instrumenten in öffentlichen Räumen der Stadt Kinshasa. Kinshasa Symphony wurde auf Festivals, im Kino und im deutschen Fernsehen gezeigt, gewann diverse Preise und wurde in der Presse vielfach gelobt. Der Dokumentarfilm ist als DVD im Handel erhältlich.
In Congo in Four Acts geben die kongolesischen Filmemacher Dieudo Hamadi, Divita
Wa Lusala, Patrick Ken Kalala und Kiripi Katembo Siku in vier voneinander unabhängigen Episoden Einblick in das Alltagsleben des Landes. Sie zeigen Frauen auf einer Entbindungsstation (Ladies in Waiting), die Lebensverhältnisse der Hauptstadt Kinshasa (Symphony Kinshasa), die
Ermittlungsarbeit von Polizeibeamtinnen im Kontext alltäglicher,
sexualisierter Gewalt gegen Frauen (Zero Tolerance) und die
Bedingungen der Arbeit in den Steinwüsten der Minenregion Kipushi
(After the Mine). Alle Episoden wurden mit großer Eigeninitiative,
gefördert u. a. durch die Cooperation Britannique, Media for
Democracy and Accountability und das Internationale
Dokumentarfilmfestival Amsterdam (IDFA) realisiert. Congo in Four Acts ist
meist mit Kinshasa Symphony auf Festivals gelaufen, allerdings nicht
als DVD erhältlich und wurde im deutschen Fernsehen nur in
Ausschnitten gezeigt.
Die öffentliche Wahrnehmung der Filme
lässt sich auf folgende Kommentare des Journalisten Dominic Johnson zuspitzen:
„Gerade weil das alles unkommentiert
bleibt, wird schlagartig das kongolesische Elend deutlich, die
Niedertracht eines Alltags, in dem kaputte und mittellose Menschen
sich damit aufreiben, um Brosamen vom Tisch eines reichen Landes zu
streiten.“, sagt er zu Congo in Four Acts. Kinshasa Symphony „… ist dazu die unverzichtbare,
weil aus dem Elend hinausführende Ergänzung. (...) Die Musik
ermöglicht das, was Kongolesen ansonsten verwehrt ist: Anschluss
finden; mitspielen, im wahrsten Sinne des Wortes."
Beide Kommentare treffen die Oberfläche
der Filme sehr gut. Aber wie auch die Filme selbst, werfen sie bei tieferer Betrachtung wesentliche Fragen in Bezug auf die Rechtmäßigkeit filmischer Repräsentation im Sinne von „Darstellung oder
Vorstellung von“ und „Sprechen für“ oder „im Namen von“
auf: Welche Grenzen hat Repräsentation im
Kontext westlich geprägter hegemonialer Diskurse und Kulturpraktiken wie sie auch im Rahmen der UNESCO wirksam werden? Wann ist Repräsentation gehaltvoll, wann gewaltsam? Welche Alternativen gibt es?
Antworten auf diese Fragen werden nie vollkommen sein, aber einige Überlegungen helfen dabei, ihnen näher zu kommen.
Antworten auf diese Fragen werden nie vollkommen sein, aber einige Überlegungen helfen dabei, ihnen näher zu kommen.
© Kinshasa Symphony by Claus Wischmann und Martin Baer // sounding images 2010 |
Dokumentarischer Realismus oder
purer Konstruktivismus?
Kinshasa Symphony und Congo in Four Acts berühren das Grundthema dokumentarischen
Filmschaffens: das Spannungsverhältnis von Realismus und
Konstruktivismus. Während der dokumentarische Realismus Bilder als Vermittler der puren Dinge wie sie sind begreift, sieht der Konstruktivismus jedes Bild als
komplexe soziale, politische, kulturelle Konstruktion. Wie der Begriff der Wahrheit
selbst, ergeben sich konstruktivistisch betrachtet, sämtliche Formen der Abbildung von Realität aus der herrschenden Politik der Wahrheit.
Aus der Perspektive des Realismus stellt Kinshasa Symphony eine evidente und objektive Wirklichkeit dar: die Realität der Stadt Kinshasa und ihrer Menschen wie sie ist. Aus konstruktivistischer Sicht ist ein dokumentarischer Film niemals objektiv, sondern immer Resultat eines hochkodifizierten Systems, der jeweils geltenden Politik der Wahrheit - der Repräsentationspolitik. Das dokumentarische Bild ist damit ein Machtinstrument der herrschenden Hegemonien. Sein zentrales Anliegen ist es, die geltenden Konventionen der Wahrheit oder Macht zu erhalten. Das Bild repräsentiert die Dinge, wie sie sind nur eventuell, auf jeden Fall aber bringt es die Bedingungen seiner Entstehung zum Ausdruck.
Aus der Perspektive des Realismus stellt Kinshasa Symphony eine evidente und objektive Wirklichkeit dar: die Realität der Stadt Kinshasa und ihrer Menschen wie sie ist. Aus konstruktivistischer Sicht ist ein dokumentarischer Film niemals objektiv, sondern immer Resultat eines hochkodifizierten Systems, der jeweils geltenden Politik der Wahrheit - der Repräsentationspolitik. Das dokumentarische Bild ist damit ein Machtinstrument der herrschenden Hegemonien. Sein zentrales Anliegen ist es, die geltenden Konventionen der Wahrheit oder Macht zu erhalten. Das Bild repräsentiert die Dinge, wie sie sind nur eventuell, auf jeden Fall aber bringt es die Bedingungen seiner Entstehung zum Ausdruck.
Konstruktivistisch betrachtet zeigt Kinshasa Symphony, als Resultat deutscher, öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten sowie der kulturpolitischen UNESCO Kommission e.V., was dargestellt und gesehen werden darf, soll und kann, innerhalb der Interessen, Meinungen und Konventionen dieser Bezugsysteme. Sowohl Produktions- als auch Distributions-und Wahrnehmungssysteme sind durch die Gewohnheiten dieses Kontextes maßgeblich bestimmt.
Es wäre zu einfach, lediglich in diesen Extremen zu denken. Es ist aber ebenfalls naiv, die Spannung zwischen den Extremen zu ignorieren. Das dokumentarische Bild ist eine überaus anziehenden zweifelhafte Gestalt, die notwendiger Weise hinterfragt werden muss und erst nach Analyse und Dialog Erkenntnis herbeiführen kann.
Es sei oft nicht möglich zwischen der
Welt und ihren Bildern, dem Ereignis und seinem Abbild, dem
Beobachter und dem Beobachteten zu unterscheiden, meint nicht nur Hito
Steyerl in Die Farbe der Wahrheit. Dokumentarisch-filmische Repräsentation als „Darstellung und Vorstellung von“, „Sprechen für“ oder „im Namen von“ ist
immer eingespannt in die wirkenden Politiken der Wahrheit und Macht.
Bestimmte Bevölkerungsgruppen seien mitunter sogar gänzlich, also auch im Dokumentarfilm, von der gesellschaftlichen Artikulation ausgeschlossen, betont die feministische Literaturwissenschaftlerin Gayatri Chakravorty Spivak. Hito Steyerl spricht in diesem Fall von "epistemischer Gewalt" und zwar immer dann, wenn die herrschenden Wertesysteme die Werte der sprechenden Personen nicht repräsentieren und deshalb jedes Verständnis unmöglich wird. Das sei häufig in sowohl patriarchal als auch kolonial geprägten Strukturen der Fall, erläutert Spivak in ihrem Text "Kann die Subalterne sprechen."(3)
Bestimmte Bevölkerungsgruppen seien mitunter sogar gänzlich, also auch im Dokumentarfilm, von der gesellschaftlichen Artikulation ausgeschlossen, betont die feministische Literaturwissenschaftlerin Gayatri Chakravorty Spivak. Hito Steyerl spricht in diesem Fall von "epistemischer Gewalt" und zwar immer dann, wenn die herrschenden Wertesysteme die Werte der sprechenden Personen nicht repräsentieren und deshalb jedes Verständnis unmöglich wird. Das sei häufig in sowohl patriarchal als auch kolonial geprägten Strukturen der Fall, erläutert Spivak in ihrem Text "Kann die Subalterne sprechen."(3)
Jean-Luc Godard beschreibt dieses Problem in Bezug auf die Zeugen(4). Er meint damit die Menschen, die im Film zu sprechen scheinen, Zeugnis ablegen, die aber nicht gehört werden (können). Godard
meint, Menschen reden zu lassen, sie an der Produktion eines Filmes
partizipieren zu lassen, heiße nicht unbedingt, sie zu Wort kommen
zu lassen. Das trifft insbesondere auf Menschen zu, die in der
Hegemonie, Hierarchie am Rande stehen (Subalterne). Ein Arbeiter oder eine
Arbeiterin zum Beispiel, die für sich selbst sprechen, werden in den
Medien oft als leicht minderbemittelte, eher bemitleidenswerte
Geschöpfe wahrgenommen. Sie würden oft zu Objekten eines
voyeuristischen Blickes, der an „Echtheit“ interessiert ist,
nicht aber an Veränderung, betont auch Hito Steyerl. Die
filmisch-dokumentarische Repräsentation, als Darstellung konkreter
Erfahrung, schließt die hierarchische, (ab)wertende Arbeitsteilung
ein: zwischen denen, die etwas erleben und denen, die dieses Erlebnis
verstehen und interpretieren können.
Unsere Medienkultur ist außerdem nachhaltig durch das Modell der Intersubjektivität, wie Hegel es formuliert, geprägt. Das heißt: Ein Anderes, welches negiert wird, ist die Voraussetzung für die Ausbildung der eigenen Identität. Die Produktion von objektivierten oder subjektivierten Anderen durchdringt all unsere Lebensbereiche und ist sogar zu einer ökonomischen Macht geworden. Auch das Konzept der Anerkennung der Anderen eingebettet in die Idee der Differenz. Das Andere muss als Teil des eigenen Selbst, immer wieder geschaffen und am Leben erhalten werden, um die eigene Identität im Gewohnten zu halten und nicht zu verlieren.(5)
Unsere Medienkultur ist außerdem nachhaltig durch das Modell der Intersubjektivität, wie Hegel es formuliert, geprägt. Das heißt: Ein Anderes, welches negiert wird, ist die Voraussetzung für die Ausbildung der eigenen Identität. Die Produktion von objektivierten oder subjektivierten Anderen durchdringt all unsere Lebensbereiche und ist sogar zu einer ökonomischen Macht geworden. Auch das Konzept der Anerkennung der Anderen eingebettet in die Idee der Differenz. Das Andere muss als Teil des eigenen Selbst, immer wieder geschaffen und am Leben erhalten werden, um die eigene Identität im Gewohnten zu halten und nicht zu verlieren.(5)
Das Interview als Zeugnis, als
Dokument, stellt die Welt wie wir sie sehen, in ihren sozialen und
politischen Sinn allerdings erst her. Ihm gänzlich und damit sich selbst permanent zu misstrauen
würde in den Wahnsinn führen. Die Herausforderung liegt also
wieder in der Fähigkeit, die Spannung von Text und Subtext, Realität
und Konstrukt, Bild und Kontext wahrnehmen und analysieren zu können. Es ist notwendig sich in Bezug auf Filme wie Kinshasa Symphony und Congo in Four Acts
zu fragen: Was zeigen sie eventuell? Sehen wir tatsächlich, was sie
sind oder lediglich, was wir benötigen, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen und die eigene Identität im Gewohnten zu halten?
© Kinshasa Symphony by Claus Wischmann und Martin Baer // sounding images 2010
Repräsentation als „Dar- oder Vorstellung von“ und „Sprechen für“
In beiden Filmen fallen politische und künstlerisch-kulturelle
Repräsentationspraxis zusammen. In beiden Fällen ist Repräsentation an ökonomische und politische
Bedingungen globaler Verwertungsökonomien, unter anderem auch die
Sensations-und Affirmationskultur des Fernsehens, geknüpft. Dabei
sind Wissen, Fähigkeit zur Sichtbarmachung und Macht oft untrennbar
miteinander verbunden.
„Die
meisten Filme in der Demokratischen Republik Kongo werden von
ausländischen Filmemachern und Produzenten gemacht. Sie kommen für
eine kurze Zeit in unser Land, machen Momentaufnahmen unserer
Gesellschaft (...)
Wir porträtieren gewöhnliche Leute, die um ihre Existenz kämpfen. Wie kommt man in einer Gesellschaft mit so großen Problemen zurecht? Wie kann man in diesem Chaos überleben?“, schildern die Regisseur*innenvon Congo in Four Acts die Situation und ihre Motivation diesen Film zu machen.
Wir porträtieren gewöhnliche Leute, die um ihre Existenz kämpfen. Wie kommt man in einer Gesellschaft mit so großen Problemen zurecht? Wie kann man in diesem Chaos überleben?“, schildern die Regisseur*innenvon Congo in Four Acts die Situation und ihre Motivation diesen Film zu machen.
Congo in Four Acts ist eine der wenigen
Arbeiten, die von einer jungen Generation lokaler, kongolesischer
Filmemacher, vor Ort realisiert werden konnte und internationale Beachtung
findet. Die vier kurzen Episoden zeigen Aspekte
persönlicher Alltagswelten aus lokaler Perspektive, in einer Ästhetik und Narration, die den Bedingungen der Filmproduktion mit einfachen
Mitteln innerhalb beschränkter Infrastrukturen entspricht: Ladies in Waiting und Zero Tolerance, verzichten gänzlich auf Interviewsituationen und beobachten im Stile des Cinéma vérité. Symphony Kinshasa und After the Mine sind durchdrungen
von unterschiedlichen dokumentarisch-filmischen Formen und
Erzählweisen: After the Mine zum Beispiel verbindet beobachtende Kamera mit
statischen Fotografien und kurzen Interviewsequenzen.
Congo in Four Acts spricht damit durch Visualität, Narration und Sujet eventuell für einen Teil der Bevölkerung Kinshasas: Direkt, durch Interviews mit den Menschen und die Beobachtung ihrer alltäglichen Lebenswelten. Indirekt auch für die jungen Regisseur*innen, die über ihre Suche nach dokumentarfilmischer Form und Erzählweise ihre eigene Haltung suchen und formulieren.
Der Film an sich repräsentiert kongolesisches Filmschaffen an sich. Die Produktion und Distribution des Filmes ist maßgeblich durch internationale Geldgeber, Festivalkurator*innen, Verleiher*innen und Journalist*innen bestimmt, deren Persönlichkeiten und Auswahlentscheidungen in meist westlich-geprägte Kulturräume, Praktiken und Perspektiven eingebunden und damit auch durch sie geprägt sind. Damit repräsentiert der Film ebens eine bestimme Logik der Filmförderung und Produktion und die mit ihr einhergehenden Gestaltungsprinzipien und Erzählweisen.
Congo in Four Acts spricht damit durch Visualität, Narration und Sujet eventuell für einen Teil der Bevölkerung Kinshasas: Direkt, durch Interviews mit den Menschen und die Beobachtung ihrer alltäglichen Lebenswelten. Indirekt auch für die jungen Regisseur*innen, die über ihre Suche nach dokumentarfilmischer Form und Erzählweise ihre eigene Haltung suchen und formulieren.
Der Film an sich repräsentiert kongolesisches Filmschaffen an sich. Die Produktion und Distribution des Filmes ist maßgeblich durch internationale Geldgeber, Festivalkurator*innen, Verleiher*innen und Journalist*innen bestimmt, deren Persönlichkeiten und Auswahlentscheidungen in meist westlich-geprägte Kulturräume, Praktiken und Perspektiven eingebunden und damit auch durch sie geprägt sind. Damit repräsentiert der Film ebens eine bestimme Logik der Filmförderung und Produktion und die mit ihr einhergehenden Gestaltungsprinzipien und Erzählweisen.
Kinshasa Symphony bettet visuelle und narrative Elemente in eine ordnende Struktur. Den erzählerischen Rahmen
bilden die Orchesterproben, die in das große Finale,
das öffentliche Konzert am Unabhängigkeitstag, münden. Der
Dirigent und Direktor des Orchesters kommentiert die Probenarbeit.
Innerhalb dieses Rahmens sind nach einem wiederkehrenden Muster neun
Portraits ausgewählter Musiker*innen, deren Inszenierung mit ihren
Instrumenten im Straßenbild sowie der Bau der Instrumente
eingebettet. Kürzere und längere Montagesequenzen der Stadt
verbinden die einzelnen Episoden. Ein Kontrast zwischen jenen
Sequenzen, welche die Probenarbeit und solchen, die das Leben in der
Stadt zeigen, wird deutlich. Viele Bilder, viele Schnitte und oft
sehr kurze Einstellungen lassen das Treiben in der Stadt,
verwirrender, chaotischer erscheinen. Die Stadt wir zu einem
Labyrinth in dem die Ordnungen der Musik, des Orchesters und der
Probenarbeit den Ausgang zu bieten scheinen. Auch Kinshasa Symphony verzichtet auf einen Audiokommentar.
Kinshasa Symphony ist unter der
Schirmherrschaft der deutschen UNESCO Kommission e.V. im Rahmen des
Mandates für „Schutz und Erhaltung des kulturellen Erbes,
Bewahrung und Förderung der kulturellen Vielfalt und der
Dialoge zwischen den Kulturen“ entstanden. Er hat damit wohl Sendungs-und
Vermittlungscharakter für diese Institution.
Der Film wurde innerhalb der Konventionen eines deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunks realisiert. Dieser ARD, als Anstalt des öffentlichen Rechts, verschreibt sich trotz privilegierter struktureller Bedingungen und gesetzlich verankertem Bildungsauftrag, mehr und mehr den Bedingungen eines Marktes, auf dem Intensität und Konsumierbarkeit von Bildern ausschlaggebend sind.
Da der Film im Rahmen des Bildungsauftrages aus Mitteln der deutschen Bevölkerung als große Kino- und Fernsehproduktion der ARD realisiert wurde, müsste er laut Sendeauftrag einen gesellschaftlich relevanten Blick auf die Lebensrealität der portraitierten Menschen repräsentieren. Verkörpert wird dieser Blick durch die Autoren Martin Baer und Claus Wischmann. Gleichzeitig vertreten die Autoren damit auch eine deutsche, mediale Öffentlichkeit und deren visuelle Praxis in der DR Kongo und Afrika.
Der Film wurde innerhalb der Konventionen eines deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunks realisiert. Dieser ARD, als Anstalt des öffentlichen Rechts, verschreibt sich trotz privilegierter struktureller Bedingungen und gesetzlich verankertem Bildungsauftrag, mehr und mehr den Bedingungen eines Marktes, auf dem Intensität und Konsumierbarkeit von Bildern ausschlaggebend sind.
Da der Film im Rahmen des Bildungsauftrages aus Mitteln der deutschen Bevölkerung als große Kino- und Fernsehproduktion der ARD realisiert wurde, müsste er laut Sendeauftrag einen gesellschaftlich relevanten Blick auf die Lebensrealität der portraitierten Menschen repräsentieren. Verkörpert wird dieser Blick durch die Autoren Martin Baer und Claus Wischmann. Gleichzeitig vertreten die Autoren damit auch eine deutsche, mediale Öffentlichkeit und deren visuelle Praxis in der DR Kongo und Afrika.
Kinshasa Symphony repräsentiert damit eventuell das
Orchester Kimbanguiste sowie verschiedene Lebenswirklichkeiten in
Kinshasa. Eventuell
spricht er damit auch für die dargestellten Personen, die wiederum
eventuell für größere Gruppen innerhalb der kongolesischen
Gesellschaft stehen. Es ist davon auzugehen, dass Kinshasa Symphony sendend und vermittelnd an den Diskurs der großen Institutionen ARD und UNESCO anschließt, nach deren Entsprechungen der im Leben der
dargestellten Personen freiwillig oder unfreiwillig sucht oder suchen
muss.
Wann ist Repräsentationspolitik gewaltsam?
Ist Kinshasa Symphony also der Schritt in eine
gemeinsame Zukunft gleichberechtigter sozio-kultureller Praxis und
ihrer Erfolgsgeschichten? Oder ist der Film Teil einer Suche nach
hegemonialen Rechtfertigungspraktiken, die über die gewaltsamen
Entstehungsbedingungen einer gemeinsamen Kulturgeschichte
hinwegsehen?
Ist Congo in Four Acts also die Bebilderung des
kongolesischen Elends: "kaputter Menschen, die sich um Brosamen
streiten"? Oder ist der Dokumentarfilm eine nuancierte und balancierte
Auseinandersetzung mit den kongolesischen Lebensrealitäten, die
Entwicklung einer eigenen Visualität und Stimme einheimischer
Filmemacher und damit eine Form von Selbstermächtigung und
Selbstbestimmung?
Wir leben in einer post-kolonialen,
neo-kolonialen Welt, in der bestimmte kulturelle Praktiken, soziale
Organisationsformen, ökonomische Verfahren, als anderen überlegen
betrachtet werden. Ich spreche von einer Welt, in der wir alle
durch eine gemeinsame, durch Gewalt bestimmte Kulturgeschichte
verbunden sind. Oft wird diese Geschichte in der öffentlichen
Vermittlung der Zusammenhänge von visueller Kultur, wirtschaftlichem
Fortschritt und Kolonialismus auch von repräsentativen
Organisationen wie dem Museum für
Deutsche Geschichte marginalisiert oder
vollkommen ausgeblendet. Die Arbeit der Gruppe Kolonialismus
im Kasten? führt dieses Thema aus. Die Initiative hat
einen kostenfreien Audio-Guide entwickelt, der darauf abzielt, dieses
Schweigen zu thematisieren und die Wahrnehmungs-und Wissenslücken zu
schließen.
© Congo in four Acts by Dieudo Hamadi, Divita Wa Lusala und Kiripi Katembo Siku // Suka Productions 2010 |
Allein die Tatsache das Congo in Four Acts als Bebilderung des Elends und Kinshasa Symphony als die
Befreiung aus der Perspektivlosigkeit rezipiert werden, spiegelt
Aspekte dieser Verstrickungen wider. Zentral ist dabei immer das
Vokabular und die Rhetorik unserer Leistungsgesellschaft und die ihm
eigene Marginalisierung alternativer Kultur-, Wirtschafts-und
Organisationsformen: Die Darstellungen eines einfachen Lebens zum
Beispiel, vermischen sich oft mit Attributen der Armut oder des
Scheiterns im Hinblick auf unsere eigenen Produktions-und
Erfolgssysteme.
Selbst wenn in Congo in Four Acts
sowohl Regisseure als auch Protagonisten individuell Zeugnis ablegen,
ist nicht gesichert, dass sie tatsächlich gehört, gesehen und
verstanden werden können. Gehört werden im Kontext westlicher
Repräsentationspraktiken oft nur die Menschen, die sich im Rahmen
der wirkenden Repräsentationstechniken wahrnehmbar machen können
und dann auch so verstanden werden, wie sie es beabsichtigt haben.
Denn es ist fraglich, inwiefern
ein hiesiges Publikum das Gezeigte über die Konventionen des eigenen
Blickes hinaus, überhaupt einordnen kann, ohne die Konventionen des
dargestellten Kulturraumes, die genauen Produktionsbedingungen des
Filmes und Motivationen der Regisseure zu kennen.
Das wird durch die mangelnde Möglichkeit selbstbestimmt mit der kongolesischen
kulturellen Praxis, anderen Formen der lokalen Filmkunst oder auch den kongolesischen Autor*innen
selbst zu interagieren verstärkt.
Die strukturelle Entmündigung der Protagonisten im Kontext interessensgeleiteter Politik und Kultur formuliert sich ganz direkt in der Präsentationssituation: Einer der Regisseure von Congo in Four Acts, der Konzertmeister Héritier aus Kinshasa Symphony sowie die Flötistin Nathalie, ganz groß auf dem Filmplakat zu sehen, dürfen zur BERLINALE zum Beispiel nicht einmal nach Deutschland einreisen.
Congo in Four Acts als subalterne Ausdrucksform
bleibt damit einem kleinen Publikum vorbehalten. Verwertungs-und
Präsentationsmöglichkeiten sind beschränkt: Eine DVD Auswertung gibt es
nicht, Aufführungsmöglichkeiten sind auf ausgewählte Festivals beschränkt.
Kinshasa Symphony versucht eine
Annäherung an eine andere Wirklichkeit über eine schlichte
Projektion und Identifikationsfläche, der uns vertrauten
musikalischen Kultur. „Beethoven statt Bürgerkrieg“ titelt die
Süddeutsche
Zeitung griffig. Die Wiedererkennbarkeit „musikalischer
Hochkultur“ spielt eine vordergründige Rolle und stellt eine
Kulturpraxis in die Nähe zu Diskursen um Zivilisation, Fortschritt,
Entwicklung und Zukunftsperspektive. Dabei werden fragwürdige
Dichotomien wie die Stabilität, Ordnung und Wohlstand westlicher Kulturen
versus Instabilität, Elend und Chaos afrikanischer Realitäten erhalten und in Szene gesetzt.
Der Film erzeugt Identifikation für
sein Publikum durch komprimierte Botschaften und die Aussparung
differenzierter Argumente einer kritischen Auseinandersetzung mit
sowohl den repräsentierten Lebenswelten als auch der filmischen
Form.
Er zeigt kulturelle Entwicklung durch
Nachahmung, vermeintliche Hoffnung und Fortschritt, ohne das
Bezugssystem wiederum in Frage zu stellen oder die Bedingungen seiner
Konstruktion sichtbar zu machen. Die eigene Unfähigkeit oder
Beschränkung des Blickes im Kontext etablierter Diskurse wird nicht
berührt. Dabei spielen die Kimbanguisten - als eine durch die einheimische Gemeinschaft bestimmte christliche Kirche - eine sehr
spezielle Rolle in der kongolesischen Kolonialgeschichte
Die filmische Erzeugung und Verwertung
von Differenz als Motivations- und Anreizrahmen über plakative
Gegensätze wie Scheitern und Erfolg, arm und reich, Ordnung und
Chaos sind visuell tief in uns verankert. In den Modellen der
westlichen Gesellschaften mündet Fähigkeit und Leistung in Erfolg.
Wir leben im Hinblick auf das Ziel „einmal zu zeigen, was man kann“
und folgen dem Mythos „wonach das Individuum für sein Schicksal
vollständig selbst verantwortlich ist“. Verbunden damit ist die
Unfähigkeit, den Zusammenhang der eigenen gesellschaftlichen
(Miss)Erfolgsgeschichte im Kontext einer gemeinsamen Weltgeschichte
zu sehen. (6)
Wolfgang Nierlein, Autor der Filmgazette
merkt an: „Kinshasa Symphony (…) kommt jedoch über die teils
arrangierte, teils schwelgerische Bebilderung der Gegensätze kaum
hinaus. In ausgesuchten Bildern beschwören die Regisseure immer
wieder die Schönheit inmitten von Chaos und Dreck, bleiben dabei
aber zu oft an der exotisch reizvollen Oberfläche haften. Das wirkt
in den Wiederholungen mitunter ausgestellt, plakativ und redundant.
So fehlt dem Film "Kinshasa Symphony" über weite Strecken
eine soziale, politische und auch historische Vertiefung.“
Kinshasa Symphony erzeugt
keine dokumentarische Distanz. Die Bilder werden nicht aus ihren
historischen Verstrickungen gelöst, auch wenn die Autoren eventuell
dieses Anliegen verfolgen und um positive Bilder bemüht sind. Einfach deshalb, weil die Verstrickungen
nicht thematisiert werden. Als Produktion der ARD und der UNESCO
Kommission ist das auch nur bedingt von Interesse. Kinshasa Symphony repräsentiert die Idee der erfolgreichen kulturellen Zusammenarbeit
mit dem Ziel ein möglichst großes Publikum zu erreichen, zu
interessieren und zu begeistern. Der Film ist aber Teil eines Spannungsfeldes, das durch die Problematik des einseitigen
Kulturtransfers geprägt ist. Die dokumentarische Bildsprache als
„Vor- und Darstellung von“ und „ Sprechen im Namen von“ bleibt in autoritäre Herrschaftsverhältnisse eingespannt.
Bilder, die wir brauchen.
Wann ist Repräsentationspolitik gehaltvoll?
Kinshasa Symphony versucht eine positive und versöhnliche Annäherung an das
beeindruckende Wirken des Orchesters über ordnende formale und
narrative Konstruktionsmuster. Der Film bleibt ein positives Zeugnis zeitgenössischer afrikanischer Kultur, auch wenn Kontexte und Entstehungsbedingungen nicht ausreichend thematisiert oder hinterfragt werden. Er bringt damit den Wunsch einer positiven kulturpolitischen Fürsprache und Vertretung durch die
UN und die deutsche UNESCO Kommission zum Ausdruck. Er transportiert das
Projekt, die Idee, einer erfolgreichen kulturellen Zusammenarbeit,
nach deren Spuren und Entsprechungen er vordergründig sucht, aus der
Perspektive der Institution. Afrikanet.info Chefredakteur Simon Inou formuliert das so: „Der Film von Claus Wischmann und Martin Baer beglückt durch eine feinsinnige Abstimmung zwischen Bild,Text, Musik und Schnitt, die von einem neugierigen, mitdenkenden und einfühlsamen Blick geprägt ist. Der Film zeigt Kinshasa hier und jetzt, wie das Leben vor Ort gestaltet wird, jenseits von Jammernden und Hilfe um Bittenden, die wir aus Nachrichten und Werbung gewöhnt sind. Der Film ist ein seriöses Werk über die Popularisierung der klassischen Musik im afrikanischen Kontext. Ein Dokumentarfilm voller Leben, Freude und Gestaltungskraft in einer Umgebung voller Leiden und Perspektivlosigkeit.“
Die Episoden von Congo in Four Acts verweigern in minimalistischer Ästhetik, fragmentarisch, sorgfältig, ohne herauszustellen im kleinen Alltäglichen beginnend, eine zusammenhängende Erzählung, das Arrangement eines großen, geschlossenen Ganzen. Die Filme verklären und idealisieren nicht: Ihre offene Form und Erzählweise dokumentiert den Entstehungsprozess einer eigenen, lokalen audiovisuellen Praxis. Die Arbeiten nähern sich an, ohne Identifikation, Betroffenheit durch Konstruktionen, z.B. Affirmation durch Montage oder Musik zu verstärken. Sie verzichten auf einen verbindenden, ordnenden Kommentar. Texttafeln auf schwarzem Grund leiten die filmischen Episoden ein.
Die rohe Montage der einzelnen Episoden, aber auch des ganzen Filmes thematisiert die fragile Beziehung zwischen Projektion, Sichtbarkeit und Wissen. Congo in Four Acts durchbricht damit den Diskurs westlicher visueller Praktiken und Erzählweisen, in denen „Darstellung“ meist „Wissen“ bedeutet: Grenzen des Mediums, der eigenen Erfahrungen mit dem Medium werden erforscht und wahrnehmbar gemacht. Alle Episoden bezeugen die dringende Notwendigkeit eine eigene soziale und kulturelle Imagination im Kontext der erlebten Dissonanzen, Brüche, Krisen zu erzeugen.
Congo in Four Acts verweist inhaltlich
und formal auf die Verfassung eines Landes und seiner Menschen nach
Jahrzehnten des Krieges und die Folgen extraktivistischer Politik.
Der Film steht formal für die Notwendigkeit einer lokalen,
dokumentarischen Repräsentationspraxis als Mittel der Ermächtigung
und Aneignung der eigenen Realität. Formal und inhaltlich engagiert
er sich für die differenzierte Darstellung der Lebenswirklichkeiten
unterschiedlicher Personen, aus der Perspektive einheimischer
Filmemacher*innen. Die Welten, die er zeigt, sind aus unserer
Perspektive extrem. Jedoch ist ihre Darstellung nicht auf den Affekt
und die Sensation reduziert. Nuanciert, offen und verhalten nähern
sich die Filme komplexen Situationen an. Congo in Four Acts betont das Recht und die Notwendigkeit selbstbestimmt Bilder, der
eigenen Lebensrealitäten zu erzeugen. Auch als Voraussetzung dafür,
das eigene Leben nach eigenen Maßgaben zu gestalten und zu
verändern.
Gewaltfreie, gehaltvolle dokumentarfilmische Repräsentation ist jedoch nur dann möglich, wenn die Wahrheit als Produkt im Rahmen ihrer Entstehungsprozesse wahrnehmbar und reflektierbar wird. Das ist sowohl in Kinshasa Symphony und Congo in Four Acts wie beschrieben nicht der Fall.
Gewaltfreie, gehaltvolle dokumentarfilmische Repräsentation ist jedoch nur dann möglich, wenn die Wahrheit als Produkt im Rahmen ihrer Entstehungsprozesse wahrnehmbar und reflektierbar wird. Das ist sowohl in Kinshasa Symphony und Congo in Four Acts wie beschrieben nicht der Fall.
Bilder, die wir brauchen.
Zeigen,
was noch gar nicht existiert.
Das
dokumentarische Bild bleibt in beiden Filmen von politischen,
ökonomischen und sozialen Konventionen bestimmt und in
die Herrschaftsverhältnisse eingespannt. Es ist von Interessen durchdrungen und
Instrument einer bestimmten Politik der Wahrheit. Dokumentarismus
folgt der Logik der potestas, wenn er Zeichen zu einer Sprache
organisiert, die erkennt, beschreibt, gliedert und ordnet.(7)
Anders in Bamako. Der Film wurde 2006 von Aberdarrahmane Sissako als Co-produktion zwischen Mali und Frankreich im Hinterhof des Hauses in dem der Regisseur aufwuchs realisiert. In einer inszenierten Gerichtsverhandlung klagen Vertreter der afrikanischen Zivilgesellschaft Institutionen wie den Internationalen Währungsfond und die Entwicklungspolitik der Weltbank als auch die politischen und ökonomischen Interessen aus denen sie hervorgegangen sind an. Die Verhandlung wird immer wieder durch das Alltagsleben unterbrochen.
Sissako mischt dokumentarische und
fiktionale Elemente. Er arbeitet mit Fakten, Bildern, Mythen und
Klischees, die er aus ihren Verwicklungen löst und zueinander neu in
Beziehung setzt. Auch die Rolle der Medien und ihre Mechanismen der
Wirklichkeitskonstruktion werden hinterfragt. Bamako zeigt so, was
noch nicht ist und wie es entstehen könnte. Der Film montiert
nachvollziehbar auf eine Weise, was auch vollkommen anders montiert
werden könnte und macht sichtbar: Wie die Welt zum Bild geworden
ist, kann das Bild kann zur Welt werden.
Der Film selbst ist eine Performance. Ein
Ereignis, das Menschen und Kontexte über die Aktion verschiedener
Subjekte anders als bisher zueinander in Beziehung setzt. Resultat ist ein verändertes
Verhältnis von Material– und Zeichenhaftigkeit mit dem Ziel
Erfahrung und Transformation möglich zu machen. Das Performative
setzt eine Dynamik in Gang, die dazu führt, dichotomische,
begriffliche Schemata als Ganzes zu destabilisieren. Neue Bedeutungen
werden über die bloße Handlung erzeugt. (8)
Anders auch in Adopted.
Was als sozial-evolutionäre Fiktion und ein Projekt der Künstlerin
Gudrun Widlok beginnt, wird Realität: Ihre Initiative Adopted
vermittelt familiär bindungslosen, erwachsenen Europäern
Pateneltern in Afrika und Asien. Mit einem mobilen Büro ist Adopted Teil der Ausstellung der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst
Berlin und anderswo. In einer westlichen Welt gehen Werte wie
Geborgenheit, Zugehörigkeit und Zusammenhalt verloren. Adopted bringt deshalb Suchende mit Familien aus Kulturkreisen, die diese Werte pflegen, auf persönlicher und emotionaler Ebene zusammen. Großfamilien in Afrika erklären
sich bereit, Patenschaften für Europäer zu übernehmen. Menschen in
Europa, denen es materiell und beruflich gut geht, die aber durch
ihren individuellen und freiheitsliebenden Lebenswandel kein
Familienleben führen, können sich bewerben. Der Dokumentarfilm
beobachtet die Familienzusammenführung in Ghana. Adopted hinterfragt Identität als körperliche und
soziale Wirklichkeit und konstituiert sie sorgar in Aspekten, durch den performativen Akt der Familienzusammenführung im Film. Das bedeutet für den Zuschauer wird Wirklichkeit wird nicht
gedeutet, sondern in ihren Auswirkungen erfahren oder erfahrbar
gemacht.
Performative dokumentarisch-filmische
Formate wie Bamako
und Adopted
können sich in eine Sprache der Dinge einschalten, anstatt sie in
den Diskursen der Macht hineinzupressen. Performative Akte sind Handlungen, die genau das
vollziehen, was sie bedeuten. Sie konstituieren eine (neue)
Wirklichkeit. Verweisen Bilder auf das
schöpferische Potential einer Situation, dann nutzen sie die Logik
der potentia. In diesem Fall wird nicht beschrieben, sondern
erschaffen und neue Kräfteverhältnisse und Energien erzeugt. Es
geht weniger darum, die Welt abzubilden als vielmehr darum zu
erkennen wie sie sein könnte, und dies zu realisieren.(9)
Quellen
(1) Die Farbe der Wahrheit. Dokumentarismen im Kunstfeld, Hito Steyerl, Verlag Turia+Kant, Wien-Berlin, 2008, S. 15
(1) Die Farbe der Wahrheit. Dokumentarismen im Kunstfeld, Hito Steyerl, Verlag Turia+Kant, Wien-Berlin, 2008, S. 15
(2) Der Titel ist inspiriert durch den Text Can
the Subaltern speak?, von Gayatri Chakravorty Spivak, Turia + Kant, 2007 mit einem Kommentar von Hito Steyerl
(3) Vgl. auch: Spricht die Subalterne deutsch? Migration und postkoloniale Kritik. Hito Steyerl und Encarnación Gutiérrez Rodríguez (Hg.), UNRAST Verlag Münster, 2003
(4) Histoire(s) du Cinéma, Jean-Luc Godard, Gallimard/Gaumont, 1998, S. 86 ff.
(5) Vgl. auch: Spricht die Subalterne deutsch?
(6) Ebenda.
(7) Die Farbe der Wahrheit. Dokumentarismen im Kunstfeld, Hito Steyerl, Verlag Turia+Kant, Wien-Berlin, 2008, S. 125 ff.
(8)
(3) Vgl. auch: Spricht die Subalterne deutsch? Migration und postkoloniale Kritik. Hito Steyerl und Encarnación Gutiérrez Rodríguez (Hg.), UNRAST Verlag Münster, 2003
(4) Histoire(s) du Cinéma, Jean-Luc Godard, Gallimard/Gaumont, 1998, S. 86 ff.
(5) Vgl. auch: Spricht die Subalterne deutsch?
(6) Ebenda.
(7) Die Farbe der Wahrheit. Dokumentarismen im Kunstfeld, Hito Steyerl, Verlag Turia+Kant, Wien-Berlin, 2008, S. 125 ff.
(8)
(9) Die Farbe der Wahrheit. Dokumentarismen im Kunstfeld, Hito Steyerl, Verlag Turia+Kant, Wien-Berlin, 2008, S. 125 ff.
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