15. Juni 2015

Wie das Netz die Erinnerungen von Zeitzeug*innen an Krieg, Nationalsozialismus und Holocaust bewahrt

Das Web versammelt beeindruckende Stimmen von Zeitzeug*innen des letzten Jahrhunderts, insbesondere der Überlebenden des Holocaust, von Krieg und Verfolgung im Nationalsozialismus. Welche Formen digitaler Erinnerungsarbeit und -kultur gibt es und welchen Anforderungen müssen sie gerecht werden? Ich habe einige Orte des Erinnerns im Netz besucht. 


© Zusammen leben müssen. Tanja Vietzke. 2012


 

 

 


Fragt uns, wir sind die Letzten. Zeitzeug*innen geben sich selbst eine Stimme.

 

Die Zeitzeugenbörse hat es sich zum Ziel gesetzt, den reichhaltigen Erinnerungs- und Erfahrungsschatz älterer an jüngere Menschen weiterzugeben und so den Dialog zwischen den Generationen zu fördern. Behandelt werden alle Aspekte deutscher Geschichte. Hier kann man sich melden, um Erlebtes weiterzugeben, aber auch, wenn man auf der Suche nach Zeitzeug*innenberichten zu bestimmten Themen ist. Die Zeitzeugenbörse bezeichnet sich selbst als “die Mutter aller deutschen Zeitzeugenbörsen” und ist im Landesnetzwerk Bürgerengagement aktiv. Zur ihren Partnern gehören unter anderem die Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (Berlin) sowie Aktives Museum (Berlin): Faschismus und Widerstand Berlin e.V. 

Sie waren Kinder als ihr Leben durch Diskriminierung, Verfolgung und Verbrechen durch die Nazis auf das Tiefste erschüttert und versehrt worden ist. Child Survivors Deutschland e.V. , überlebende Kinder der Shoah, wurde 2001 gegründet und ist eine Initiative von Betroffenen für Betroffene. Hier haben sich Menschen zusammengetan, die als Kinder in der NS-Zeit wegen ihres Judentums beziehungsweise ihrer jüdischen Wurzeln verfolgt wurden. Der Verein unterstützt Betroffene, organisiert aber auch Veranstaltungen und Medienarbeit für die interessierte Öffentlichkeit, um auf die Geschichte aufmerksam zu machen. 2011 wurde ein Online-Archiv eingerichtet. Dieses stellt in ausführlichen Interviews differenzierte, bewegende Berichte von Zeitzeug*innen als Dokumente jüdisch-deutscher Zeitgeschichte zusammen.

Der Arbeitskreis Fragt uns, wir sind die Letzten besteht aus Menschen aus antifaschistischen Zusammenhängen, die sich aktiv mit der Geschichte des nationalsozialistischen Deutschlands auseinandersetzen. Ihnen geht es darum, die Perspektiven von Verfolgten und Menschen aus dem antifaschistischen Widerstand zu bewahren und sichtbar zu machen. Seit 2010 veröffentlicht die Initiative in einer jährlichen Broschüre Interviews mit Überlebenden. Inzwischen sind fünf Hefte erschienen. Die Publikation ist online erhältlich und kann als Heft bestellt werden.
Gleichzeitig setzt sich die Initiative kritisch mit Geschichtsrevisionismus und der Doppelstrategie staatlicher Geschichtspolitik auseinander: „Verschleppung nach innen“ und „Rückzug auf staatliche Souveränität nach außen“, „repräsentative Auftritte an Gedenkorten“ und „Verzögerungstaktik bei Entschädigungszahlungen an die Opfer des NS-Regimes oder finanzielle Unterstützung zum Erhalt von Gedenkorten wie Auschwitz. Fragt uns, wir sind die Letzten arbeitet eng mit Child Survivors Deutschland e.V. zusammen.


Die Quellen schreiben und sprechen selbst. Archive mit besonderem Ansatz.

 

Die Quellen sprechen ist ein Audio-Archiv über die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland. Zeitzeug*innen erzählen, was ihnen widerfuhr und wie sie überleben konnten. Sie lesen gemeinsam mit Zeitzeug*innen Dokumente wie Zeitungsberichte, Hilferufe, Verordnungen, Befehle, Tagebuchaufzeichnungen und private Briefe – verfasst von Tätern, Opfern und Augenzeug*innen. Historiker*innen erläutern Hintergründe und diskutieren Forschungsfragen über die antisemitischen Aktionen in Deutschland nach der nationalsozialistischen Machtergreifung und den Holocaust in Europa. Das Archiv entstand als Kooperation des Bayerischen Rundfunks/Hörspiel
und Medienkunst und dem Institut für Zeitgeschichte.

Auf Zeitzeugengeschichte.de dokumentieren Jugendliche die erlebte und erzählte Geschichte von Zeitzeug*innen des Nationalsozialismus. Gespräche wurden als Audiofiles oder Video aufgenommen und die Interviewausschnitte bereitgestellt. Zeitzeugengeschichte.de ist ein offenes Webportal. Damit Gruppen, Klassen Interviews für das Portal produzieren können, steht ein Leitfaden bereit, der jeden Schritt genau erklärt.
Alle Clips können auf drei verschiedene Arten aufgerufen werden, chronologisch, thematisch und nach Namen der Zeitzeug*innen. 

Das Archiv der Zeitzeugen stellt Texte privater Autor*innen in redaktionell nicht überarbeiteter Fassung vor. Die Dokumente umfassen den Zeitraum von 1850 bis 1989 und liegen digital und oft auch als Print-Ausgabe vor. Veröffentlicht werden Autobiografien, Erinnerungen, Tagebuchaufzeichnungen, Briefwechsel sowie Zeitzeug*innenberichte jeglicher Art. Das Archiv ist grundsätzlich offen für alle. Die zur Veröffentlichung angenommenen Texte werden stichprobenartig auf Inhalte, die Rechte Dritter verletzen oder nationalsozialistisches oder anderes völker- und menschenrechtsverachtendes Gedankengut verherrlichen oder verbreiten, überprüft. Verstöße können dem Verlag per E-Mail gemeldet werden. Alle Dokumente dürfen gemäß der Creative Commons Lizenzen verwendet werden.



Große Archive zu Faschismus, Holocaust und Zwangsarbeit.

 

Das European Resistance Archive (ERA) sammelt die Geschichten von Menschen, die Widerstand gegen Terror, die Demütigungen und Verfolgungen durch die faschistischen Regimes in Europa geleistet haben. In Videointerwies berichten Widerstandskämpfer*innen über sich und ihre Form des Kampfes. Lokale ERA-Teams in Polen, Slovenien, Italien, Frankreich, Östereich und Deutschland erforschen und betrachten Widerstandsbewegungen in ihren regionalen Kontexten. Darüber hinaus möchte ERA interessierte Personen, besonders auch Schulklassen und Studierende zur methodischen Arbeit mit Zeitzeug*innenberichten anleiten und setzt sich für die kritische Auseinandersetzung mit der europäischen Geschichte ein. Die Initiative beruht auf einem Verbund europäischer Partner und wurde durch die EU gefördert.


Die USC Shoah Foundation und das Institute for Visual History and Education gibt es seit 1994. Das weltgrößtes Online-Archiv zu Holocaust und Genozid ist auf Initiative des Regisseurs Steven Spielberg entstanden und trägt es ca. 52.000 Interviews zusammen, die in 36 Sprachen in 56 Ländern aufgenommen wurden. In Österreich entstanden ca. 180 mehrstündige Interviews, weltweit etwa 1.200 weitere Interviews mit ehemaligen Österreicher*innen. 13 Interviews sind über das Portal Erinnern Nationalsozialismus und Holocaust: Gedächtnis und Gegenwart abrufbar. Partner ist hier auch die FU Berlin mit ihrem Center für Digitale Systeme als Träger der Initiative Zeugen der Shoah. Das Visual History Archive in der schulischen Bildung. Im Zentrum der Gespräche stehen Holocaust und andere Genozide. Leider sind diese Interviews nur über ausgewählte Access-Points zugänglich.
 
Das Dokumentationszentrum Topografie des Terrors macht über das Dokumentationszentrum Zwangsarbeit sein Zeitzeugenarchiv Zwangsarbeit online zugänglich. Darüber hinaus bietet das Zentrum vielfältige Veranstaltungen und Publikationen an.
Das digitale Archiv Zwangsarbeit 1939-1945 enthält Interviews mit 590 Überlebenden. Es soll an die über zwölf Millionen Menschen, die für das nationalsozialistische Deutschland Zwangsarbeit geleistet haben, erinnern. Es ist in Kooperation mit der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ), der FU Berlin und dem Deutschen Historischen Museum (DHM) entstanden. Die Stiftung EVZ wurde 2000 mit dem Auftrag gegründet, NS-Zwangsarbeiter*innen zu entschädigen. Das Stiftungskapital wurde vom deutschen Staat und der Wirtschaft aufgebracht. Auftrag der Stiftung ist es darüber hinaus, sich in Erinnerung an die Opfer nationalsozialistischen Unrechts für die Überlebenden zu engagieren und sich für Menschenrechte und Völkerverständigung einzusetzen. 
Die Stiftung unterstützt vielfältige Projekte in Europa. Im Rahmen der Kampagne Ich lebe noch! erzählt sie die Geschichten von Sinaida Lewanez, Franz Brschesizki, Natalja Wetoschnikowa, Regina Lawrowitsch, Wiktor Sosow und Frida Rejsman. Alle haben NS-Zwangsarbeit und Vernichtung überlebt.


Das Gedächtnis der Nation. Deutsche Jahrhundertgeschichte in Bildern und Berichten. 

 

Das Gedächtnis der Nation ist das größte deutsche Zeitzeug*innenarchiv im Web, das in 4.000 Videoclips Erinnerungen eines Jahrhunderts deutscher Geschichte vom ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart bereitstellt. Es handelt sich um eine Projekt von Bertelsmann, Daimler, Gruner & Jahr, Google, Robert Bosch Stiftung, Stern und ZDF.

Das Zeitzeugenportal stellt Dokumente, Interviews und Erzählungen in den Rubriken Ereignisse, Themen und Jahrhundertzeugen zur Verfügung. Film- und Fotomaterialien aus Vergangenheit und Gegenwart dokumentieren wichtige Ereignisse. Interviews mit Zeitzeugen behandeln große Themen wie die Teilung Deutschlands, Migrationsgeschichte und den Holocaust. Dabei sind es gerade die kleinen Fragmente persönlicher Alltagsgeschichten um Überleben, Flucht, Krieg oder Vertreibung, die tief berühren. Ein Zeitstrahl soll helfen die Zeitzeug*innen aber auch die Bilddokumente zu verorten. In der Rubrik Jahrhundertzeugen dürfen prominente Persönlichkeiten zu Wort kommen.  

Der Jahrhundertbus, ein umgebauter LKW fungierte als mobiles Aufnahmestudio. Bis November 2014 war er in Deutschland unterwegs, um die Geschichten der Menschen aufzuzeichnen. Leider ist nicht ganz klar, wann und ob er seine Tour fortsetzen wird. Ein Youtube-Channel lädt zum Mitmachen ein. 

Auch der Rundgang durch die Deutsche Geschichte über das Lebendige Museum Online (LEMO), als Projekt des Deutschen Historischen Museums (DHM), lässt Zeitzeug*innen zu Wort kommen.

Teil 2.
Web-Dokus. Analoge Gedenkorte und digitale Projekte.
Zeitzeugeninterviews in Schule und Unterricht.

Teil 3.
Digitale Gedenkorte. Welchen Anforderungen müssen sie genügen?




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