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19. April 2016

Kommunalpolitikerinnen ins Netz?

Rethinking Media by Tanja Vietzke // Mischtechnik ©Tanja Vietzke 2014

Seit Oktober 2015 stehe ich als Mentorin einer erfahrenen Kommunalpolitikerin im Reverse Mentoring am Helene Weber Kolleg zur Seite und berate sie im Hinblick auf ihre digitale Strategie. Unter dem Slogan "Frauen macht Politik" will das Kolleg den Anteil der Frauen insbesondere in der Kommunalpolitik erhöhen. Gefördert wird die Initiative durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Projektträgerin ist die Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin e.V. (EAF).
 

Das Reverse Mentoring bringt Medienexpertinnen und Kommunalpolitikerinnen mit und ohne Parteihintergrund parteiübergreifend zusammen. Ziel ist es, gemeinsam über Sichtbarkeit in den sozialen Medien nachzudenken, Fragen zur digitalen Selbstdarstellung, zu Plattformen und Tools des Social Webs zu beantworten und beim Entwickeln einer Social Media-Strategie zu unterstützen.

Sichtbarkeit im Netz erfordert Mut, Arbeit und Zeit. 


Allein die Begegnung mit den Frauen des Helene Weber Kollegs war und ist bereichernd und horizonterweiternd für mich. Darüber hinaus habe ich durch die Beratungssituation intensiv darüber nachgedacht, worauf es ankommt, wenn Kommunalpolitikerinnen über Selbstdarstellung im Netz nachdenken.
Es ist wichtig zu wisssen, dass kommunalpolitische Arbeit zum großen Teil ehrenamtlich für eine minimale Aufwandsentschädigung geleistet wird, also zusätzlich zur eigenen Berufstätigkeit, Familien- und Sorgearbeit. Die inhaltliche Vorbereitung der Ausschüsse und Versammlungen, Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern und Recherchen erfolgen in der Regel in der sowieso knapp bemessenen Freizeit, an den Wochenenden und in den späten Abendstunden.
Der Wunsch Verantwortung zu übernehmen, mitzugestalten, kommunalpolitische Entscheidungen zu beeinflussen, bindet erhebliche Kapazitäten und braucht wahren Enthusiasmus. Wann dann noch strategisch bloggen, twittern, posten oder snapchatten?


Mit den richtigen Fragen fängt es an.


Bereits mit der Entscheidung für eine kommunalpolitische Tätigkeit sind Fragen verbunden, die auch im Hinblick auf eine digitale Strategie relevant sind: Was möchte ich erreichen und was ist mir wichtig? Welche Fähigkeiten und Ressourcen bringe ich mit, was kann und will ich einbringen?
Halte ich es aus sichtbar zu sein, in den direkten Dialog zu gehen, zu polarisieren, angegriffen oder auch abgelehnt zu werden?

Debatten aus den Verordnetenversammlungen, Kreistagen oder Gemeinderäten auch im digitalen Raum fortzuführen und als Person im Netz sichtbar zu sein, heißt diese Fragen zu präzisieren: Was möchte ich durch die sozialen Medien erreichen? Welche Inhalte möchte ich kommunizieren, welche Themen diskutieren? Was weiß ich über meine Zielgruppe(n)? Über welche zeitlichen, finanziellen und personellen Ressourcen verfüge ich? Wird sich das zukünftig verändern? Mit welchen sozialen Medien habe ich bereits Erfahrungen gesammelt, welche interessieren mich (nicht) und warum (nicht)?

Mit ehrlichen Antworten geht es weiter.


Zunächst einmal ist es wichtig, sich den Druck zu nehmen. Auch im Social Web ist es schlicht unmöglich und auch nicht sinnvoll überall präsent zu sein. Je klarer frau sich bewusst macht, welche Netzwerke und Plattformen zu ihr passen – zu ihren Werten und politischen Zielen, ihrer Persönlichkeit und zu ihrer Art zu kommunizieren, desto besser für alle Beteiligten.

Je kleiner das Buget, die zeitlichen Ressourcen und das individuelle Wissen um Tools, Plattformen und Zielgruppen, desto notwendiger sind Analyse, Konzept und Übung, aber auch klare Prioritäten.
Nicht selten unterstützt es sehr, sich eigene Ängste und Resentiments bewusst zu machen. Unsicherheiten können überwunden, Fähigkeiten und Kenntnisse erworben werden. Wesentlich sind die Bereitschaft dazuzulernen, ein echtes Interesse an Feedback, Dialog und Kooperation. Nichts muss und alles kann und weniger ist oft mehr – um es mit diesen nicht ganz unbekannten alten „Weisheiten“ zu sagen, die durchaus ihre Berechtigung haben.

Natürlich haben sich gerade in der politischen Kommunikation (vermeintliche) Standards herausgebildet. Und natürlich können Politikerinnen auf Landes- und Bundesebene ihre Kommunikation in den sozialen Netzwerken professionalisieren, weil sie über andere Infrastrukturen (Technik, Geld, Personal/Know-How) verfügen. 

Die Spielregeln gilt es zwar zu kennen, doch wichtiger als das Einhalten von vermeintlichen Standards ist die Fähigkeit, sich wahrhaftig und gehaltvoll vermitteln zu können. Natürlich zeichnet sich eine gute Social Media-Strategie durch eine überzeugende Content-Strategie aus. Einige ausgewählte Plattformen authentisch und begeistert zu nutzen ist jedoch wertvoller, als viele uninteressiert und nur halb motiviert zu bedienen. Das kann ebenso einschließen, dass z. B. Netzwerke wie Facebook aus politischen oder ethischen Gründen nur eingeschränkt benutzt werden oder auch gar nicht. Auf die eigene Haltung und Zielsetzung kommt es an.

Präsenz ist „kein Sprint, sondern ein Marathon“.*


Selbst die beste Strategie schützt nicht vor Ernüchterung, Überforderung oder Misserfolgen. Sichtbarkeit und Sichtbarmachung sind ein langer Prozess, indem es gute Inhalte, kontinuierliche Analyse und Impulse von außen braucht. Austausch ist wichtig, die Fähigkeit sich den eigenen Humor und die Neugier zu bewahren, ebenso wie das Bewusstsein für die eigenen Werte, Stärken und Grenzen. 
Es geht nicht darum, eine neue Persönlichkeit zu erfinden und ein Image zu faken. Die bereits existierende Person sollte gestärkt werden und sichtbar gemacht, was frau selbstbestimmt preisgeben möchte. Doch dazu gehören Mut, Kritikfähigkeit, Durchhaltevermögen und ein gutes Netzwerk. Es ist sinnvoll langfristig zu denken, sich Ziele zu formulieren und diese regelmäßig zu überprüfen. Strategien sind dazu da, um verändert oder verworfen zu werden. Eine über einen längeren Zeitraum angelegte Beratung kann dabei unterstützen.

Selbstbewusstsein ist auch im Social Web eine gute Voraussetzung für eine wertvolle, sinnstiftende Tätigkeit. Die Fähigkeit, sich durch Selbstwissen und inhaltliche Kompetenz verhalten zu können, Kritik und Debatte aushalten aber auch Distanz nehmen und „Nein“ sagen zu können sind relevant. Diese Eigenschaften sorgen für Sicherheit und Wohlbefinden in der Kommunikation mit anderen Menschen, Gleichgesinnten und vor allem Kritikerinnen und Kritikern. Gleichzeitig sind sie der beste Schutz gegen all die destruktiven Potentiale, die unsere Realität auch und gerade im Social Web so zu bieten hat.

*Diese Aussage stammt von der Kommunikationsberaterin Nicole Kempe eine Spezialistin in Sachen Mut, Personal Branding und digitale Strategien. Ein schönes Interview mit ihr gibt es auch auf Saint Iva.

15. Januar 2016

Kleine Ethik des Schaffens

Ich liebe bewegte Bilder und die Arbeit als Autorin und Regisseurin. Trotzdem habe ich mich entschieden, sie nicht um jeden Preis zu tun. Für mich gibt es eine Ethik des Schaffens. Diese betrifft finanzielle und formelle Bedingungen der Produktion, meine Haltung und Arbeitsweise in Bezug auf alle beteiligten Personen, aber auch Inhalte und Form des Werkes.
Ziel meiner Arbeit war und ist es, eine mutige, kooperative und kritsche Film- und Medienproduktion zu stärken, angstfreie Produktions- und Arbeitsumfelder zu schaffen, in denen kollaborative Medien- und Wissensproduktion möglich und eine visionäre Ästhetik Resultat einer partizipativen Auseinandersetzung ist. Denn so stelle ich mir die Medienproduktion einer demokratischen Gesellschaft vor, in der ich leben möchte.
© Frau tanzt. Cut out und Bleistift auf Papier. von Tanja Vietzke 2014
Natürlich ist es einfach, das eigene Vorhaben zu formulieren. Die echte Herausforderung liegt in der konkreten Umsetzung.
Filmförderung, Produktions- und Verwertungsstrukturen funktionieren nach etablierten und fragwürdigen Routinen gesellschaftlicher Eliten. Diese begünstigen
Rollenzuschreibungen in den Rundfunksystemen, welche die Unterrepräsentation von großen gesellschaftlichen Gruppen vor und hinter der Kamera zur Folge haben, fragwürdige Kategorien und Bewertungskriterien in der wirtschaftlichen und kulturellen Filmproduktion, die Abhängigkeit der Filmförderung von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und diskussionswürdige Verfahren der Regulierung.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich bin ein Fernsehkind und durch das Fernsehen sozialisiert worden. Ich bin für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk und finde Filmförderung sinnvoll. Allerdings ist die Art und Weise kontinuierlich zu überdenken.
 

Ich lebe in dieser Realität, also reproduziere ich sie auch.

Der Bundestag,
Pro Quote Film, fairTV oder Theaterjobs, Haben und Brauchen oder die Koalition der Freien Szene in Berlin versuchen sich den Defiziten, Krisen und ihren Ausprägungen in unserer gegenwärtigen Kunst- und Kulturpraxis in verschiedenen Aspekten zu nähern und Lösungen zu finden. Dabei geht es um die Bedingungen fairer Beschäftigung, die Verteilung von Ressourcen auch unter den Gesichtspunkten der Gleichstellung von Männern und Frauen in der Kunst- und Kulturproduktion.
Ein Workshop der alpha nova & galerie futura in Kooperation mit gNg versuchte zu ergründen, inwiefern (queer) feministische Kunst- und Kulturräume und Strukturen Aspekte aktueller Krisen aufweisen, reproduzieren und welche Möglichkeit sie bieten, emanzipatorische und diskriminierungsfreie Strategien und Handlungsmöglichkeiten künstlerischen und kulturellen Schaffens zu entwickeln. Die Rosa Luxemburg Stiftung und Dare the impossible stellten die Frage, wie sich Zukunft besser gestalten lasse.

Für mich ist die Wahrheit sehr schlicht.
Ich lebe in einer Gesellschaft, in der sich das Prinzip der Gewinnorientierung, des Wettbewerbs und der (selbstab)wertenden Arbeitsteilung tief in uns eingeschrieben hat. Obwohl wir wissen, dass in dieser Ökonomie der Erfolg bestimmter immer auch das Scheitern anderer Gruppen – Menschen, Generationen, Kulturen, Geschlechter – einschließt, bleibt es hart dieser Wahrheit ins Auge zu sehen und die eigene Rolle in dieser Praxis der strukturellen Krise anzuerkennen. Gegenwärtige Gleichstellungspolitik wird der Intersektion von Diskriminierung noch nicht gerecht.

Lebe ich als Kulturschaffende in dieser Gesellschaft, so reproduziere ich auch die ihr immanenten Formen der Zugehörigkeit und des Ausschlusses. Ich lebe in dieser Realität, also reproduziere ich sie auch.
Als Künstler*in dieser Zeit bin ich oft dazu gezwungen, der kreative und unternehmerische Prototyp der erfolgreichen oder gescheiterten totalen oder teilweisen (Selbst)Vermarktung und (Selbst)Ausbeutung zu sein. Ich kann mich aber auch als Akteur*in einer alternativen Selbst- und Gesellschaftspraxis auf den Weg machen und fragwürdige Machtsstrukturen, Rollen und Wahrheitsbegriffe zu erkennen, dekonstrukieren und umgestalten versuchen.

Im Präkariat der Selbstverwirklichung gehören wir alle heute noch zu den Gewinner*innen und morgen schon zu den Verlierer*innen. Oft werden in diesem Wettbewerb selbst die strukturell am meisten benachteiligten Personen noch zu Konkurrent*innen gemacht. Doch wie kann ich diesen Strukturen begegenen? Wie konstruktiv in ihnen agieren? Wie Mensch sein? 

Wir kreiren auf dem selben Niveau, auf dem wir zerstören.

Meine filmische Praxis versucht sich mit den geltenden Begriffen der Wahrheit in Kunst und Alltag auseinanderzusetzen. Ich möchte überholte Kommandostrukturen und diskriminierende Rollenschemata aufdecken und Alternativen entwickeln. Deshalb ist es mir wichtig Perspektiven zu wechseln, Rollen zu tauschen, empfindlich zu bleiben – und dazu auch offen zu stehen. Ich möchte genau zuhören. Ich versuche hinzusehen. In Momenten der Ungeduld und Konfrontation bleibe ich und frage mich, was mein Gegenüber mir sagen möchte und warum ich ungeduldig bin. Ich frage nach und überlege, was genau ich erkennen kann, was nicht und woran das liegen könnte.

Ich reflektiere den Markt und mein eigenes Wirken in diesem Kontext. Ich mache mir meine finanzielle, persönliche und ideelle Verfassung bewusst und anderen in der Zusammenarbeit transparent. Ich mache mir klar, was Geld und Erfolg für mich bedeuten und konfrontiere mich mit den eigenen materiellen Ansichten und Bedürfnissen. In Gruppenprozessen ist das konkrete und ehrliche Sprechen über Geld und Erfolg und die daraus erwachsenen Selbststrategien unerlässlich. 

In meiner eigenen Praxis suche ich nach Formen für Einkommensgemeinschaften und Umverteilung. Ich erkenne unsichtbare Arbeit und Sorgearbeit an, leiste sie selbst, bewusst und spreche Anerkennung und Respekt offen aus. Ich fordere nichts von anderen Menschen ein, wenn ich sie für diese Arbeit nicht auch (finanziell) anerkennen oder durch entsprechendes Handeln wertschätzen kann/möchte.

Die Angst vor der eigenen Bedeutungslosigkeit, die mangelnde Konfrontation mit der eigenen Erfolgssehnsucht oder ein anmaßender Deutungsanspruch festigen nicht selten ein System der Krise und die Ausbeutung von Differenz, Identität und Arbeitskraft gerade auch in der Kunst- und Kulturproduktion.
Ich möchte auf strukturelle Gewalt, Sexismus, Rassismus und Repression im Kulturbetrieb durch dominierendes oder diskriminierendes Verhalten über Ausdruck/Sprache, Gesten, Handeln und Prozesse aufmerksam machen und es vermeiden. Wenn mir dieses Verhalten auffällt, spreche ich es an, schildere meine Wahrnehmung und bitte andere Beteiligte mir ihre Wahrnehmung mitzuteilen. Ich halte andere Positionen aus, positioniere mich aber bewusst und klar dazu. 


Ich hinterfrage Hegemonien der Macht und des Marktes genauso, wie meine individuellen Hoheitsansprüche. 

Ich bin achtsam, verantwortlich und nicht wichtiger als andere Menschen. Ich schätze den kleinsten Versuch und die kleinste Geste von mir und anderen, respektvolle, inklusive und faire Arbeitsformen des Künstlerischen zu entwickeln. Das heißt auch, ich beute mich und andere nicht selbstvergessen aus, weil ich mir wünsche beachtet, entdeckt und geschätzt zu werden. Ich hinterfrage Hegemonien der Macht und des Marktes genauso wie meine individuellen Hoheitsansprüche. Räume, die selbstbestimmtes Schaffen ohne Angst vor gemeinschaftlichem Denken und partizipativem Handeln ermöglichen wollen, erforsche, schütze und unterstütze ich.

Kulturpraxis und gesellschaftliche Verantwortung sind für mich auch deshalb nicht zu trennen, weil künstlerisches Schaffen starke Fiktionen und Mythen um die Besonderheit der eigenen Rolle in der Gesellschaft produziert, welche – bleiben sie unreflektiert, das Prinzip der Überlegenheit, Abhängigkeit und Präkarisierung verklären und  stabilisieren.
Künstlerische Praxis bedeutet für mich die kontinuierliche Aufdeckung struktureller, offener oder sublimer Formen der Dominanz und Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, sozialer Herkunft und Status, Zugehörigkeit oder sexueller Orientierung und Identität und das Entwickeln von Bewusstsein und Gegenentwürfen in Beziehungen, Arbeit und Alltag. Der Schlüssel dazu liegt in der bewussten, sorgfältigen und kontinuierlichen Betrachtung meiner eigenen Prägungen, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster und ihrer Veränderung in der Interaktion mit anderen. 
 
Woher ich komme.
Mein Leben ist von Menschen geprägt worden, die Faschismus, Krieg und Gewalt nicht oder nur zufällig oder schwer versehrt überlebt haben und hart um ihre Existenz, ein gutes Leben und respektvolles Miteinander kämpfen mussten.
Meine Arbeit befasst sich mit sozialen und ökonomischen Architekturen in Gesellschaft und Familie. Sie umfasst die Gestaltung von Strukturen und Prozessen, auf der Suche nach den Möglichkeiten für ein würdevolles Leben im Spannungsfeld von Ethik, Ästhetik und Ökonomie.

24. August 2015

Menschen für Menschen auf der Flucht vor Krieg und Not

Das radikal Böse ist das, was nicht hätte passieren dürfen, das heißt das, womit man sich nicht versöhnen kann [...] woran man auch nicht schweigend vorübergehen darf.“, Hannah Arendt

Die Fassaden sind längst gefallen. Die Systeme ächzen. Ignorant lebt, wer die Situation der vor Not und Krieg flüchtenden Menschen nicht in einen weltgesellschaftlichen Kontext bringen möchte. Verfolgt man die Geschichten der Geflüchteten nicht nur in den Mainstream-Medien, sondern direkt über The VOICE Refugee Forum Germany, dem Refugee Radio Network, bei lunapark21 oder achtet auf den Hintergrund wird klar wie direkt unsere Existenzen miteinander verbunden sind.
Der interventionistische Audioguide der Gruppe Kolonialismus im Kasten? thematisiert unsere eigene, selbst in der Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums, marginalisierte Geschichte kolonialer Gewalt und wirtschaftlicher Interessen. Diese nämlich prägt unsere Welt und die Ursachen von Flucht und Migration bis heute.
Grund dafür ist eine Gesellschaftspraxis, die Krieg und Destabilisierung als Teil der "Demokratisierung" und "Befreiung" normalisiert und als Instrument der Einfluss- und Marktsicherung nutzt. Der Mediendienst Integration hat umfassende Informationen zu den aktuellen Fluchtursachen zusammengestellt. Auch ProAsyl macht auf den Kontext aufmerksam und entkräftet Vorurteile gegen Menschen auf der Flucht vor Not und Krieg.

© THE FORMOSA EXPERIMENT: ein Film von Verena Kyselka, 2014 >> Filmausschnitt anschauen
Regierungen, Behörden und Verwaltungen agieren langsam und verfolgen ihre ganz eigenen Interessen nach intransparenten Kriterien. 
Die Zustände am Landesamt für Gesundheit und Soziales (Berlin) haben die humanitäre Katastrophe mindestens den Helfer*innen bewusst gemacht. Die Kampagne "Die Toten kommen", realisiert durch das Zentrum für politische Schönheit in Kooperation mit der Öffentlichkeit, hat die unzähligen im Mittelmeer ertrunkenen Menschen erstmals in die deutschen Städte und Dörfer gebracht. Weissach, Heidenau und Freital zeigen klar, dass sich Geschichte und Versagen in Deutschland wiederholen können und es keinen Weg gibt, sich der Verantwortung zu entziehen mit den Worten: "Davon haben wir hier nichts gewusst."

Ob bei ProAsyl, Teachers on the road, Refugees Welcome oder Moabit-hilft - jeder Akt für Menschenrechte und gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind relevant. Straßengezwitscher berichtete live aus Heidenau. BuzzFeed hat sich mit den Äußerungen "besorgter Bürger*innen" in den sozialen Netzwerken befasst und diese entkräftigt. Auf betterplace.org sammeln #bloggerfuerfluechtlinge, unter berlin-hilft-lageso finden sich die Links zu verschiedenen Inititativen in den Bezirken Berlins. #NoPegida-Aktivist*innen treffen sich online und natürlich auf den Straßen. Mit ihrer Dokumentation Radikale im Tale hat das Jugendmedienprojekt Wuppertal sehr früh und direkt versucht, die Motive der Pegida-Bewegung vor Ort zu verstehen. In #Jamel bei Wismar feierten die Lohmeyers trotz des Brandanschlags auf ihr Stallgebäude das Forst Rock Festival für eine bunte Welt. Die internationalen Netzwerke antirassistischer Gruppen wie Kein Mensch ist illegal oder No Border machen sich weltweit seit Jahren für das Recht auf Migration und freie Residenz stark.

“Jeder Mensch hat das Recht auf ein Leben in Frieden und Würde. Und dieses zu realisieren, dafür sind wir alle verantwortlich." Das sind die Worte einer Person, die mein Demokratieverständnis nachhaltig geprägt hat - meine Grundschullehrerin. Dafür musste sie in keinem Schulbuch blättern. Sie sprach einfach aus Erfahrung, hatte sie doch selbst den Krieg nur zufällig überlebt und mit dem Holocaust die extremste Form des staatlich legitimierten Rassismus und der Menschenverachtung erfahren. 
Mit der Abwertung von Menschen fängt Diskriminierung und Rassismus an. Mit Propaganda, Übergriffen und Anschlägen, die Menschen und ihre Unterkünfte zum Opfer haben, wird er zum rechtsextremistischen Terror in der Tradition deutscher Faschisten.
Die Amadeu Antonio Stiftung gehört zu den wichtigen Akteur*innen, die sich ganzheitlich, intellektuell und praktisch mit diskriminierenden, rechtsextremistischen und neo-nationalsozialistischen Strukturen und Argumenten in unserer Gesellschaft auseinandersetzen. Neben guten kostenfreien Publikationen zum Thema unterstützt sie eine Vielzahl von Projekten und hat die "Betagruppe" gegen Nazis und Rassismus im Internet und nonazi.net initiiert. Aber auch die vielen Zeitzeug*innen-Verbände im Netz und digitale Gedenkprojekte versuchen die Erinnerung an die faschistische Vergangenheit und das rassistische Erbe unseres Staates zu thematisieren und zu diskutieren. 

Es liegt in unserer gemeinsamen Verantwortung, ob menschliches Handeln gegen die Würde und die Unversehrtheit anderer Menschen, Minderheiten, Fremder, Geflüchteter – ganz gleich ob politisch oder ökonomisch, individuell oder gesellschaftlich motiviert - begünstigt oder sanktioniert wird. Es liegt in der Verantwortung jeder und jedes Einzelnen sich für Menschenwürde, Gerechtigkeit und Frieden zu engagieren. Jedes (Nicht)Handeln ist relevant und ebenfalls politisch.

Epilog. 
Ich möchte an dieser Stelle meinen Respekt und meine Hochachtung aussprechen für all die Menschen in diesem Land, die sich offen und direkt gegen diskriminierendes, rassistisches, fremdenfeindliches und rechtsradikales Gedankengut aussprechen und ausgesprochen haben. Ganz besonders erwähnen möchte ich diejenigen, die deshalb mit Beschimpfungen, Drohungen und Übergriffen auf ihre Person, Freund*innen und Angehörige leben müssen. Ich gedenke aller Opfer rassistischer und rechtsextremistischer Gewalttaten.

14. Mai 2015

AMBIGUOUS BEING: Who is afraid of identiy? My Curatorial Statement for the videoart library and exhibition

AMBIGUOUS BEING: Who is afraid of identity?
http://ambiguous-being.blogspot.de
The city of Berlin was never re-presentative of the German society in ist entirety. AMBIGUOUS BEING, film program and videoart library, presents works of artists based in Taipei, Tel Aviv and Berlin in order to evaluate decisive culminating points of distinctive urban tendencies.

Although the city of Berlin was never re-presentative of the German society in its entirety, it has always been a decisive culminating point of distinctive corporate tendencies. The spatial and social manifestations of tolerance and totalitarianism, exclusion and openness, self-realization and destruction resulting from the city´s history have created an urban continuum of motion and steadiness. It is embedded in a stress field of quotidianity and adventure that has made Berlin an adorable laboratory for multiple visions of how one can live and make the terrain inhabitable.

The city, constantly determined and demanded upon by crucial boundaries experiencing collapse, seems to successfully link diverse social, cultural, and political environments and lifestyles. Political and socio-cultural ruptures and upheavals have caused borderlands of happening and reconstruction. Periods of conflict and precariousness have initiated inventive movements, seeking independence and corporate perspectives. The outcomes have an impact far beyond the city´s zones of influence.

But one Never Lives Elsewhere.* 
Motion and transition beget a threshold that can offer the possibility of entering new spaces of sociability or corporate attitudes. Movement without a sustainable vision marks a temporary state rather than a future perspective. It even bears the potential for the irrevocable destabilization of important community values that shape individual and social identity – in particular, as permanent mobility and flexibility have become decisive factors of a transnational economy that seeks to expand and dominate by total liberation and exchange.

The most insidious operation of this economy is its ability to project itself as an inevitable and stable development that offers orientation, even though complex societal orders and social bonds have been destroyed by the very same policies. Here, permanent transformation, the absence of community caused by casualization becomes another specification of this total market, as well as its main result. It is essential for the further deregulation and defamation of common public interests.

Precariousness is necessary as a foundation to implement the problematic propaganda of prosperity and growth as the only truth, because it profoundly affects the person who suffers it by making the whole future uncertain. It enervates, prevents all rational anticipation and, in particular, the basic belief in a common future that one needs in order to rebel, especially collectively, against present conditions – even the most intolerable, as Pierre Bourdieu states.

Of course, motion enables encounter by connecting people and mind-sets. But to the same extent, our contemporary ways of commuting and re-locating tear holes into our capacities for coherent social and individual perception and identification. So, the current Berlin hype can also be seen as an aspect of the ongoing scenario of crisis: as an urbanity in transition, ruptures, crisis and transformation in the city of Berlin create open spaces that attract an intercultural, international audience.

As on-sided interests, as well as the increasing struggle for economic resources, and social and cultural participation have made parts of our world barely inhabitable, notably a merely young generation is longing for creative and future perspectives here, what is totally eligible. Nevertheless the spaces of possibility in Berlin accrue more and more high-priced merchandise. Marketing images of hope and opportunity support questionable policies that try to establish precariousness, mobility, and flexibility as something sexy and re-presentative. Coeval for many locals the ongoing movements, often related to the phenomenon of gentrification and segregation, complicate self-concepts, and result in the loss of a familiar pattern of identification.

The Sting of the Other. 
But how to organize without destroying what made life a site of inventive social, political, and economic realities? How to live in precarious mobility without losing consistency and coherence but also without becoming exclusive, indifferent, or intolerant?
To learn how we can regard everything that is ours as something strange and that which seems strange as a part of ourselves, as Maurice Merleau-Ponty stresses, might be an opportunity. After creating a context of immaterial field tension that blurs and questions existing boundaries, we tend to formulate relevant concepts of civil disobedience and urban sociability.

The city is a site of collective self-determination. In a globalized universe of floating meaning, fiction, and knowledge, inclusive social values and identity have to be actively built. One does not have to plan it like a monument but re-construct it constantly. It is a process of individual and civil consciousness requiring communication, mental mobility, attitude and the ability to include differences by respecting them.

To maintain that, we definitely need to continue developing a language of aesthetics as a process of subjective and collective investigation that implements the virtual and material realities in its instruments and addresses the individual's needs and desires to live as an entire personality in a community. Ongoing debates about urban sociability in the city of Berlin raise questions on the future of sociability and community life in general.

The selected works are fragments of that debate. Concerning this matter, they explore the meaning of the Self and the Other, the options of Acting and Suffering, the results of Finding and Inventing, the meaning of the Conventional and the Extra-ordinary as essential issues of individual and social identity construction against a background of colliding concepts of reality and the ongoing crisis of re-presentation. Moreover, all selected works testify to an urgent need to reconstruct a personal and social imaginary, mentioning the absence of medial, social or political consistency by addressing distinctive aesthetics as well as narrative layers.

At once, they all recognize the impossibility of doing this without recourse to delegitimized discourses or theories. So, they tend to denaturalize the established strategies of re-presentation, supporting the activity of the audience by encouraging critical reflection on the role of visual art and culture.

As seeing and visualizing can and should no longer be associated with knowledge, most works invariably hesitate at the point of locating their individual studies within a larger, overarching narrative. Individuals or particular images are not easily interpreted as representative of anything broader than themselves, refusing the allegorical impetus of one big picture.

The selection seeks to cross-link works that develop artistic strategies and implement contemporary mindscapes as social labs of global relevance. Nevertheless, it is subjective and fragmented following the framework and possibilities of its exhibition context. It does not aim to be representative.

The Self and the Other highlights works, such as PASSING DOWN, FRAME ONE (2007), ANYTHING BUT MY PICTURES (2010), STREETS OF THE WORLD (2012), IMAGINE THE BORDER BETWEEN US (2012), A PORTRAIT OF THREE COLORS, ALL PINK. PART II (2012), that explore the very basic aspects of an organizing system and its limits, as well as its contingencies that sometimes make it difficult to see any form of identity as definite. In order to define identity, the boundary experience is always essential.

That underlines the relation of Acting and Suffering to expose further video works that address the process of identification and artistic expression as creative forces contributing to the system that one is and wants to be part of, consistently formulating the questions one wants to answer.
Nevertheless, any act of identification by expression bears the moment of violence and the potential to cause suffering, in that it excludes or limits in the very moment it creates, as addressed in LAND OF BANALITY (2002-2012), THE NEW MIDDLE (2010), NO PLACE HOME (2010), WHAT YOU DON`T PUT INTO THE SOUP GOES INTO THE LOO (2011), TERRITORY OF BEAUTIES (2012). 

Finding and Inventing unites works that discuss the fact that any organizing principle is neither part of the object or subject itself nor exists outside or before an entity, but rather has to be constructed actively from within individual and social context. This regards, in particular, the realm of labor and technology as thematized in THRESHOLD (2006), IN THE WORKS (2012), MAGNETIC EYE BERLIN (2012), BERLIN RECYCLERS (2012), NO MORE WORDS, NO OTHER THOUGHTS. ABOUT THE RITUALS OF SPEAKING (2012).

The Conventional and the Extra-ordinary intimates the borderlands where the common and uncommon are confronted with each other instead of being encapsulated, keeping quotidian life opened up for the exceptional by avoiding a strict separation in THE MAGIC DESK (2008), SLIGHTLY CLOSER/ MV (2010), MÄRKISCHES VIERTEL  - FACES OF A NEIGHBOURHOOD (2010) or LYING IN BETWEEN (2011).

Anett Vietzke.
AMBIGUOUS BEING is the second curatorial work of the documentarist and media theorist Anett Vietzke. It continues the investigation of visual art as a source of approaches to document and explore concepts of reality in its re- and de-construction. It thereby seeks to empower a productive, community-oriented artistic and cultural practice that understands itself as a laboratory of inclusive socio-culture. Acting productively within this frame means acting in order to consciously contribute to a system one wants to be part of, as well as formulating the questions one has.

On the borderline of art and science Anett Vietzke seeks to reflect contemporary concepts of truth and visualization, discussing them with diverse audiences. In 2011, she co-curated ARGENTINA VICE VERSA, a film cycle and symposium dedicated to the New Argentine Cinema (1999-2011) for Cinemateket Oslo and Bergen, as well as Verdensteatret TromsØ. The film cycle dealt with the aesthetics and artistic strategies of local film-art in the context of the economic breakdown and the resulting crisis of re-presentation in Argentina, which experienced it´s peak in 2001. 


Please visit also: http://ambiguous-being.blogspot.de/

* Subtitles and main questions are inspired by the contemplations of the philosopher Bernhard Waldenfels as manifested in his publication DER STACHEL DES FREMDEN/ THE STING OF THE OTHER (suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Frankfurt am Main, 1998)